Die Heilkraft von Spontanbewegungen

Natürlichkeit & Sanftheit:

Spon­tan­be­we­gun­gen sind etwas Natür­li­ches und ­kön­nen in einem spi­ri­tu­el­len Übungs­sys­tem als ­Aus­druck der Selbst­hei­lungs­kraft des Kör­pers ­ver­stan­den wer­den, der sich über sie von Blo­cka­den und über­schüs­si­ger Ener­gie rei­nigt.

Im Tian­ Tao Yoga dür­fen sich diese hei­len­den Bewe­gun­gen entfalten.

Jeder weiß, dass Bewe­gung grund­sätz­lich von essen­ti­el­ler Bedeu­tung für das Wohl­be­fin­den von Kör­per und Geist ist. Viele Bewe­gungs­sys­teme wur­den ent­wi­ckelt, um dem natür­li­chen Bedürf­nis des Kör­pers nach Bewe­gung zu ent­spre­chen.

Sowohl in der Art der Aus­füh­rung als auch in ihrer Wir­kung auf die Gesamt­heit des Men­schen wei­sen sie zum Teil große Unter­schiede auf. Klas­si­sche Sport­ar­ten wie zum Bei­spiel Jog­gen oder Ten­nis hel­fen zwar einer­seits dabei fit zu blei­ben, trai­nie­ren aber meist nur den phy­si­schen Kör­per und die gro­ßen Mus­kel­grup­pen. Von einem gewis­sen Ver­let­zungs­ri­siko auf­grund ein­sei­tig bean­spruch­ter Kör­per­par­tien ein­mal abge­se­hen, fehlt in der Regel der Fokus auf sub­ti­lere Kör­per­struk­tu­ren und ener­ge­ti­sche Aspekte, die ihrer­seits einen ent­schei­den­den Ein­fluss auf den Zustand des Kör­pers ausüben.

In den letz­ten Jahr­zehn­ten haben daher ganz­heit­lich aus­ge­rich­tete Sys­teme wie Yoga, Tai Chi und Qigong immer mehr an Popu­la­ri­tät gewon­nen. Die Prak­ti­zie­ren­den suchen neben Fit­ness vor allem auch Ent­span­nung und inne­ren Aus­gleich. Ihnen geht es eher darum, Kraft und Ener­gie zu tan­ken, als sich auszu­powern. Im Ide­al­fall ent­steht beim Prak­ti­zie­ren eine über die akti­ven Bestre­bun­gen hin­aus­ge­hende Syn­these aus Bewe­gung, Atem und Medi­ta­tion.

Doch ein grund­sätz­li­ches Pro­blem stellt sich oft zwi­schen das ange­strebte Ideal und die Rea­li­tät: Der Übende ist in einer Viel­zahl der Fälle auf­ge­for­dert, fest­ge­legte Bewe­gungs­ab­läufe mög­lichst kor­rekt nach­zu­ah­men, was nicht sel­ten zur Folge hat, dass das stress­ver­ur­sa­chende Leis­tungs­den­ken bei­be­hal­ten wird und die ange­strebte „Flow“-Erfahrung auf diese Weise nicht ein­tre­ten kann. Die Gehirn­ak­ti­vi­tät bleibt auf die nie­de­ren, mit Kon­kur­renz und Über­le­bens­kampf beschäf­tig­ten Gehirn­zen­tren beschränkt.

Bewe­gung aus der Tiefe des Kör­pers

Diese Pro­ble­ma­tik war eini­gen der gro­ßen Yoga– und Qigong-Meister bewusst, und so wurde nach Wegen gesucht, den Gra­ben zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit zu über­brü­cken. Die Lösung stellt sich rela­tiv ein­fach dar: Neben den sich an äuße­ren Vor­ga­ben ori­en­tie­ren­den wil­lent­lich aus­ge­führ­ten Bewe­gun­gen sollte der Kör­per auch die Mög­lich­keit haben, sich spon­tan gemäß sei­nen eige­nen indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­sen zu bewegen.

Daher gibt es Qigong-Schulen, die die­sen Aspekt in ihren Kul­ti­vie­rungs­weg mit ein­be­zie­hen. Ich per­sön­lich habe den für mich stim­migs­ten Ansatz im Tian­ Tao Yoga, einem chi­ne­si­schen Yoga­weg mit zen-buddhistischen Wur­zeln gefun­den. Obwohl diese Tech­ni­ken tra­di­tio­nell als Yoga klas­si­fi­ziert wer­den, wei­sen sie doch kei­ner­lei Ähnlich­keit mit dem indi­schen Hatha Yoga auf.

Hier ver­bin­den sich spon­tane Ele­mente mit spi­ral– und wel­len­ar­ti­gen Bewe­gun­gen, die immer aus der Tiefe des Kör­pers gene­riert wer­den und daher eine große ener­ge­ti­sche Kraft besit­zen. Die im Sit­zen aus­ge­führ­ten Hand­ges­ten sind zwar defi­niert, wer­den aber wei­ter­hin durch die spon­tane und absichts­lose Qua­li­tät, die sich durch alle Übun­gen wie ein roter Faden hin­durch­zieht, getragen.

Auf diese Weise las­sen sich zwei grund­sätz­lich ver­schie­dene Bewe­gungs­modi, auf die ich im Fol­gen­den näher ein­ge­hen möchte, intel­li­gent und wirk­sam mit­ein­an­der ver­bin­den. Der erste Bewe­gungs­mo­dus wird durch den Ver­stand über das moto­ri­sche Gehirn­zen­trum kon­trol­liert und als wil­lent­li­che Bewe­gung bezeich­net.

Der zweite ist spon­tan und unter­liegt nicht der Kon­trolle des Wil­lens. In die­sem Modus geschieht Bewe­gung auto­ma­tisch und wird durch das sym­pa­thi­sche und par­asym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem aus­ba­lan­ciert. Diese bei­den Bewe­gungs­ar­ten ste­hen mit zwei unter­schied­li­chen Typen von Mus­kel­grup­pen in Zusam­men­hang: einer­seits mit den­je­ni­gen Mus­keln, die durch das Bewusst­sein gesteu­ert wer­den kön­nen, wie bei­spiels­weise die Ske­lett­mus­ku­la­tur, ande­rer­seits mit sol­chen Mus­keln, die nicht wil­lent­lich beein­flusst wer­den kön­nen. Letz­tere wer­den vis­zer­ale Mus­keln genannt, zu ihnen zählt das kon­trak­tile Gewebe von Hohl­or­ga­nen wie dem Darm und den Blut– und Lymphgefäßen.

Selbst­re­gu­lie­rende Funk­tion

Gewöhn­lich sind wir uns der spon­ta­nen Bewe­gun­gen, die in unse­rem Kör­per statt­fin­den, nicht bewusst. In jedem Moment bewe­gen sich bestimmte Kör­per­be­rei­che auto­ma­tisch und völ­lig ohne unser Zutun: Das Herz schlägt, der Atem kommt und geht, Magen und Darm füh­ren peris­tal­ti­sche Bewe­gun­gen aus – wür­den diese Bewe­gun­gen stop­pen, hätte das den phy­si­schen Tod zur Folge.
Nicht nur die Grund­funk­tio­nen des Kör­pers wer­den durch spon­tane Bewe­gun­gen auf­recht­er­hal­ten, der Kör­per nutzt sie auch als selbst­re­gu­lie­rende Funk­tion, um sein inne­res Gleich­ge­wicht wie­der­zu­er­lan­gen.

Dafür gibt es zahl­rei­che Bei­spiele: Wenn der Kör­per ermü­det, dann gäh­nen wir oder deh­nen die Wir­bel­säule, wenn die Augen tro­cken sind, blin­zeln wir, oder wir hus­ten, wenn etwas im Hals kratzt. Nor­ma­ler­weise geschieht diese Form von spon­ta­ner Bewe­gung nur in den unmit­tel­bar betrof­fe­nen Muskeln.

Dar­über hin­aus gibt es eine wei­tere Art von spon­ta­ner Bewe­gung, die man für die eigene Hei­lung bezie­hungs­weise Ener­gie­kul­ti­vie­rung nut­zen kann. Man muss dafür nur zwei Grund­vor­aus­set­zun­gen erfül­len: ers­tens eine spe­zi­fi­sche Kör­per­hal­tung ein­neh­men – oft wird dafür eine Posi­tion im Ste­hen gewählt – und zwei­tens trotz Auf­recht­er­hal­tung der Posi­tion in einen Zustand völ­li­ger Ent­span­nung glei­ten, ohne etwas im Beson­de­ren bezwe­cken zu wol­len. Wenn dies gelingt und man sich durch Unge­duld nicht dazu ver­lei­ten lässt, vor­schnell Bewe­gun­gen zu for­cie­ren, wird der Moment kom­men, an dem der Kör­per inner­lich und äußer­lich zu rea­gie­ren beginnt, äußer­lich durch kleine oder grö­ßere Bewe­gun­gen, die sich als Schau­keln, Schwan­ken, Zucken oder Deh­nen bemerk­bar machen kön­nen und inner­lich durch Emp­fin­dun­gen von Wärme, Krib­beln, Strö­men, manch­mal auch Kälte oder ein Gefühl der Aus­deh­nung der Körperoberfläche.

Ver­brauchte oder nicht för­der­li­che Ener­gien kön­nen in die­sem Pro­zess über die Füße und Hände aus­ge­lei­tet wer­den, was manch­mal auch an einer zeit­wei­sen Ver­än­de­rung der Haut­farbe erkenn­bar ist. Damit ein­her­ge­hend wer­den oft ange­staute Emo­tio­nen frei­ge­setzt. Hier zeigt sich die enge Ver­bin­dung zwi­schen unse­ren Gefühls­in­hal­ten und den nor­ma­ler­weise auto­no­men Funk­tio­nen des Kör­pers.

Der Zugang lässt sich über Spon­tan­be­we­gun­gen leicht her­stel­len, wäh­rend die wei­tere Ver­ar­bei­tung dann durch Füh­len, Annahme, wer­tungs­freie Wahr­neh­mung und Fließen-Lassen erfol­gen kann. Ist eine gewisse Grund­rei­ni­gung bereits erfolgt, wer­den die Bewe­gun­gen des Kör­pers mehr und mehr von einer Art über­ge­ord­ne­tem Ener­gie­fluss getra­gen, der von ande­ren Seins­ebe­nen zu stam­men scheint. Der Kör­per bewegt sich im Ein­klang mit der Bewe­gung des Him­mels und der Him­mels­kör­per sowie mit jenen Urkräf­ten, die das Uni­ver­sum in jedem Moment neu erschaffen.

Die so gefun­dene Inner­lich­keit kann bei umsich­ti­ger Her­an­ge­hens­weise auch dann auf­recht­er­hal­ten blei­ben, wenn die Bewe­gun­gen grö­ßer wer­den und in kon­kre­tere For­men bzw. Abläufe mün­den. Es ist rat­sam nach Abschluss einer Übungs­sit­zung geraume Zeit still auf dem Boden zu lie­gen – in der Regel inte­grie­ren sich erst dann alle Effekte der in Gang gesetz­ten Pro­zesse voll­stän­dig und nutz­brin­gend. Hier schließt sich der Kreis wie ein Ouro­bo­ros: Stille brachte Bewe­gung her­vor und Bewe­gung endet in Stille.

von Julia Kant

Arti­kel zuerst erschie­nen in der Zeit­schrift SEIN Februar 2014

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