Artikel zuerst erschienen im Magazin SEIN, 9/2013
Hingabe und Vertrauen gehen anders: Immer mehr Menschen, die spirituelle Methoden entwickelt und – meistens – vorhandene leicht variiert oder in einen neuen Zusammenhang gestellt haben, versuchen, sich diese Veränderungen als Marke schützen zu lassen. Ist der Weg ins Einssein zunehmend ein Pfad der Abgrenzung und diverser Egotrips?
Loslassen, Vertrauen sowie Aufgabe von Kontrolle und selbstsüchtigen Tendenzen sind großgeschriebene Grundprinzipien in den meisten spirituellen Schulen und Praktiken. Viel wird darüber geschrieben und gepredigt, daher sollte man annehmen, dass Lehrer und Heiler in diesen Bereichen bestrebt sind, mit gutem Beispiel voranzugehen und diese Werte besonders achtsam in ihrem jeweiligen Wirkungsradius umsetzen.
Doch gerade unter ihnen hat sich eine globale Epidemie ausgebreitet, die durch einen Virus mit dem Namen „geistiges Eigentum“ hervorgerufen wird. Dieser Virus treibt Blüten in Form von kuriosen Marken– und Copyright-Anmeldungen, dubiosen Lizenzverträgen und in letzter Instanz kostspieligen Gerichtsprozessen.
Geistiges Eigentum ist gerade in Bezug auf spirituelle Techniken mit ihren oft Jahrhunderte alten Traditionen ein besonders fragwürdiges Konzept. In der Vergangenheit betrafen die Gesetze zum geistigen Eigentum hauptsächlich spezifische Industrien wie die Musik– und Film-Branche und Hersteller von innovativen Technologien und Maschinen. Die Trends der letzten Jahrzehnte haben diese Gesetze allerdings in Reichweite von jenen gebracht, die in ganzheitliche Trainings wie zum Beispiel Yoga-Ausbildungen involviert sind.
Daraus entwickelte sich eine Art moderner Piraterie, die traditionelles Wissen alter Kulturen ausbeutet und in private Hände zu überführen versucht. Gemeint ist nicht das Schützen von Logos oder Ähnlichem, sondern die Vereinnahmung von Lehrmethoden und deren überlieferten Namen.
Yoga-Positionen schützen lassen
Einer der bekanntesten und am kontroversesten diskutierten Fälle der letzten Jahre ist der von Bikram Choudhury, einem Yoga-Geschäftsmann, der in den Vereinigten Staaten lebt und ein Copyright für 26 Yoga-Positionen oder Asanas in einer bestimmten Reihenfolge beantragte, welche in „seiner“ Version der alten indischen Praktiken bei Temperaturen von 40,5 °C ausgeführt werden. Der Versuch, auf seine Lehrmethode des Yoga Copyright zu erheben, hat Schockwellen unter Yoga– Enthusiasten und Experten in Indien hervorgerufen. Sie vertreten die Ansicht, dass die Idee, Wissen wie Yogatechniken zu patentieren, schlichtweg absurd ist und diese alte indische Kunst verletzt.
Der Wert der Yoga-Industrie wird in den USA auf sechs Milliarden Dollar geschätzt. Die indische Regierung führte bereits teure Gerichtsprozesse gegen US-Patente, die nicht nur auf Yoga-Positionen, sondern auch auf traditionelle Medizin und Nahrungspflanzen wie Kurkuma und Basmati-Reis gegeben wurden. Mit dem Anliegen, diesen Goldrausch zu stoppen, hat die indische Regierung eine 30-Millionen-seitige Datenbank erstellt, die Indiens altes traditionelles Wissen erfasst. Die „Digitale Bibliothek traditionellen Wissens“ (The Traditional Knowledge Digital Library) beinhaltet 54 Textbücher über Indiens Heilungssystem und mehr als 1500 Yoga-Positionen. Der Grundgedanke dabei ist, die Weisheit der Jahrhunderte davor zu bewahren, in Privateigentum verwandelt zu werden.
Meins, meins, meins
Glücklicherweise haben selbst das US-Marken– und Patentamt und das mit Bikram Choudhurys Fall beschäftigte Gericht entschieden, dass ein Copyright auf Sequenzen von Yoga-Positionen, –Übungen oder –Bewegungen nicht gerechtfertigt ist. Auch das Argument, die Abfolge könne als Pantomime oder Choreographie geschützt werden, wies das Gericht ab, weil es sich bei diesen Übungssequenzen um wesentlich mehr handele als um choreographische Elemente und diese auch nicht dazu bestimmt seien, auf der Bühne vor einem Publikum aufgeführt zu werden.
Was Namen von Methoden anbetrifft, bietet das Gesetz hierzulande leider mehr Spielraum für das Privatisieren von traditionellen Begriffen, sollten sie noch nicht als Gattungsbegriff etabliert sein. Es kann durchaus passieren und ist auch bereits vorgekommen, dass der Name einer in China oder Taiwan millionenfach praktizierten spirituellen Technik in Deutschland aufgrund mangelnden Bekanntheitsgrades als Wortmarke beim Marken– und Patentamt registriert wird, wenn eine dementsprechende Antragstellung erfolgt.
Die Frage bleibt, welche Motive den Versuchen, ganze Lehrsysteme als geistiges Eigentum zu schützen, zu Grunde liegen. Oftmals wird Qualitätssicherung als Begründung angegeben – so soll nach Möglichkeit die Reinheit der Lehre erhalten bleiben. Natürlich ist das ein nachvollziehbarer Aspekt gerade in Zeiten von vielerorts angebotenen Fast-Food-Ausbildungen. Meiner Erfahrung nach wird dieser Grund allerdings oft vorgeschoben und verdeckt andere Motive, die eher wirtschaftlicher Natur sind oder auf Kontrollzwängen basieren.
Money, Money, Money
Sicher verwundert es, wenn sich manche Menschen nach nur einem Seminarbesuch als „Master Teacher“ der Methoden, die sie gerade erst erlernt haben, bezeichnen. Ich habe das selbst im Rahmen meiner Tätigkeit als Lehrerin für zenbuddhistische Yoga-Techniken einige Male erlebt. Dennoch bin ich der Auffassung, dass die Lösung dieser Problematik nicht im Anmelden von Marken und in Lizenzverträgen zu finden ist. Die beste Möglichkeit, Qualität zu wahren, liegt darin, fundierten Unterricht und in Folge anspruchsvolle Lehrerausbildungen anzubieten. Die Tätigkeit der Schüler nach einmal erfolgter Zertifizierung vollständig kontrollieren zu wollen, halte ich für ein Zeichen von mangelndem Vertrauen in den natürlichen Fluss der Dinge oder schlicht für Geldgier, denn mit Lizenzen gehen oft auch Lizenzgebühren einher. Nichts spricht dagegen, mit einer Tätigkeit im ganzheitlichen Bereich Geld zu verdienen, denn wir alle müssen leben und sind zu einem hohen Grad an das existierende Geldsystem gebunden. Eine gewisse Form von Energieausgleich sollte daher selbstverständlich sein.
Aber Franchising geht meines Erachtens weit über das Ziel hinaus und führt die vermittelten Lehrinhalte in vielen Fällen ad absurdum. Daher bleibt zu hoffen, dass nach Ausschlagen des Pendels die Tendenz zum Markenwildwuchs wieder rückläufig wird und Wege gefunden werden, ethisch korrekter mit dem Geschäftsaspekt des Vermittelns spiritueller Methoden und Techniken umzugehen.
Jegliches Wissen, das umfassende Gültigkeit besitzt, entstammt nicht den Sphären des Egos einzelner Personen, auch wenn es vielleicht von diesen als Inspiration empfangen und gemäß ihrer Talente interpretiert wurde. Die Quelle dieser Inspiration existiert zeitlos und unabhängig von Begriffen wie „mein“ und „dein“. Ihre Schätze stehen potenziell allen zur Verfügung und sind ein Geschenk an die ganze Menschheit.